For Peace. Against War. Who Is not? A Compilation For The People Of Ukraine

Ende Februar begann der Angriffskrieg von Putins Armee gegen die Ukraine. Neben der allgemeinen Fassungslosigkeit und Angst, die akut um sich griff, waren schnell auch Solidaritätsbekundungen in unterschiedlichsten Formen zu beobachten. Aus dem Kulturbereich kamen viele Aktionen, die ein Zeichen gegen den Krieg setzen. Unter anderem sind auf Bandcamp zig verschiedene Sampler erschienen.

Einen besonders bemerkenswerten möchte ich Sampler heute vorstellen und habe mich dafür mich Kai Niggemann unterhalten. Kai lebt in Köln und ist vielfältig aktiver Musiker und Soundartist (https://kainiggemann.com). Zusammen mit Robert Galbraith und Elizabeth Virosa von der Band Snowbeasts (https://snowbeasts.bandcamp.com) und Component Recordings (https://componentrecordings.bandcamp.com) aus Providence, Rhode Island, hat Kai einen monumentalen Sampler mit sage und schreibe 199 (!) Tracks zusammengestellt.

Henk: Hallo Kai! Erzähl doch mal, wie es zu der Aktion kam und wer beteiligt daran ist.
Kai: Hallo Henk. Kurz nach Beginn des Kriegs postete Rob (Robert Galbraith von Snowbeasts/Component Recordings) auf Facebook ein Angebot, dass er für Benefiz-Compilation-Beiträge das Mastering kostenlos übernehmen würde. Ich fragte ihn daraufhin, ob er und Beth (Elizabeth Virosa, ebenfalls Snowbeasts und Component) denn von einer Compilation wisse, oder ob sie einen planen würden. Da wir aber alle drei noch keine passende kannten, haben wir gescherzt, dass wir eine machen könnten. Wir haben dann gemeinsam spontan einen Text geschrieben, ein Platzhalter-Bild gesucht und den Open Call gepostet.

H: Wie war euer Prozess? Wie habt ihr den Sampler kuratiert? Gab es z.B. besondere Kriterien für die Auswahl von Tracks?

K: Nach dem Post kamen quasi sofort Tracks rein. Ich hatte Bedenken, ob wir es schaffen würden, genügend gute Tracks zu finden, die eine Compilation auszeichnen und besonders machen würden. Als uns die ersten 30 Tracks alle gefielen, gerieten wir ins Grübeln und überlegten, wo wir eine Linie ziehen könnten oder müssen. Ich war dann irgendwann richtig froh, als es irgendwann begann mit Tracks, die nicht passten oder bei denen uns beim ersten Hören sofort klar war, dass die nicht für die Compilation geeignet sind. Vorher hatte ich schon an meinem Geschmack gezweifelt, dachte ich wäre zu unkritisch geworden. 

Während die Tracks ankamen, haben wir (vor allem Rob) also probiert, schon zu clustern, d.h. sie stilistisch passend zusammen zu bringen. Wir merkten, dass der Sampler eine ganz schöne Reise werden würde und merkten, dass wir sofort beginnen müssten, alles zu arrangieren, damit am 15.03. (das war schon von Anfang an unser geplantes Release-Datum — nur fünf Tage nach der Deadline!) nicht alles (und alle) zusammenbricht.

Was unglaublich geholfen hat war ein Kommentar auf das Open Call-Posting auf Facebook von Wolfgang Flür (Kraftwerk) am ersten Tag, der schrieb, dass er gern einen Track beisteuern würde. Das hat uns ermöglicht noch mal ganz anders bekanntere Menschen anzusprechen, weil es damit nicht mehr nur eine totale Underground Sache war. 

Am Ende sind Namen dabei, die nicht unbedingt Household-Names sind — aber Stephen Mallinder von Cabaret Voltaire, Cico Beck (Joahsino) ist der Elektroniker von The Notwist, Scanner (Robin Rimbaud), Mia Zabelka, Joan Hacker, Valentin, die ANGEL mit Schneider TM, Ilpo Väisänen von Pan Sonic und Zappi Diermaier von Faust, Nick Didkovsky von Dr. Nerve, der auch bei Alice Cooper spielte, Dead Voices On Air, — um nur einige zu nennen.

Kai Niggemann
(Foto: Nina Gschlößl)

H: Angesichts der Lage in der Ukraine fühle ich mich ziemlich hilflos. Natürlich gibt es viel Hilfsbereitschaft gegenüber Geflüchteten und Solidaritätsbekundungen für die Ukrainer*innen. Zahlreiche Musiker*innen und Kultureinrichtungen haben Aktionen gestartet. Das ist auch superwichtig. Aber gleichzeitig stoppt das ja leider den Krieg nicht. Kann Kultur überhaupt hierzu einen wirklichen Beitrag leisten?

K: Aus dieser Hilflosigkeit stammte auch der Gedanke, einen Sampler zu machen. Wir wollten mit dem was wir können probieren Geld und Aufmerksamkeit herzustellen. Die Menschen in der Ukraine haben sicherlich gerade anderes zu tun, als einen Sampler anzuhören, aber falls jemand diese Flut von Samplern für Ukraine die es z.B. auf Bandcamp zur Zeit gibt bemerkt, ist es sicherlich auch eine kleine Ermutigung.

Ich glaube es geht ja gerade sehr stark um Kultur. Die russischen Truppen sind sehr offensichtlich darauf aus, ukrainische Kultur zu vernichten. Und da müssen wir als Musiker*innen dringend zumindest unsere Solidarität zeigen und helfen Geld zu sammeln, das die Lage verbessern kann.

Am Ende sind Rob, Beth und ich sehr pazifistisch. Wir waren uns einig, dass wir mit der Compilation keine Waffenkäufe finanzieren wollten. Zwar auch, weil die Summe die bei unserem Projekt rauskommt nur ungefähr für eine verschwindend geringe Anzahl von irgendetwas militärisch relevantem (Westen, Helme, etc.) ausreichen würde, aber vor allem weil wir trotz der großen Not, in der die Ukraine sich befindet, uns nicht mit dem Gedanken an Waffenkäufe anfreunden konnten.

H: Wie ist Resonanz auf die Aktion? Erreicht ihr damit viele Menschen? Eher Blase oder große Reichweite?

K: Die Resonanz ist super. Ich habe genau eine kritische Mail bekommen und die war etwas wirrewachs, also eher nicht ernstzunehmen. Durch Radio und andere Medien ist die Reichweite ziemlich hoch und wächst auch noch. Viele der Musiker*innen haben sich bei ihren lokalen/regionalen Sendern und Medien um Artikel und ähnliches bemüht, es gibt TV-Berichte aus Kanada, Radiosendungen aus Deutschland (Grenzwellen, Elektrobeats, u.a.) und Berichte aus Österreich (SKUG.at, Ö1 vom ORF).

Wir hatten keine Ahnung, dass das so groß werden kann, sonst hätten wir die PR länger geplant und mehr abgestimmt, aber wir wollten keinen langen Vorlauf, damit schnell Geld in die Ukraine fließen konnte.

H: Wie geht es weiter? 

Snowbeasts (Foto: Mandi Martini)

K: Es kommen in naher Zukunft noch einige Radio- und Medienbeiträge. Wir probieren weiter Geld einzusammeln und werden es in regelmäßigen Abständen in die Ukraine überweisen. Ich denke, dass die Künstler*innen auch noch weiter Werbung machen, das Feedback auch von ihnen ist sehr gut.

H: Servicehinweis – am 01.04.2022 ist mal wieder Bandcamp Friday – eine gute Gelegenheit, den Sampler zu klicken und so noch ein bisschen mehr beizutragen, als auf eurer normalen Bandcamp-Shoppingtour.

Hast du besondere Lieblingstracks oder besondere Anspieltipps, Kai?

Oh ja. Natürlich empfehle ich die Namen die man eventuell kennt mal anzuhören, da sind schon viele gute Tracks bei. Wolfgang Flürs Einstiegstitel »Say No« frisst sich mit jedem Hören tiefer rein, ich finde den sehr gut und freue mich unfassbar, dass der auf der Compilation vertreten ist.

Meine Top Five der Namen, die einen nicht sofort anspringen, sind zwar nicht fest, aber gute Beispiele sind diese:

Valentin: »Digital Hugs« — Es ist so schön warm. Beginnt wie ein relativ ‘normaler’ Techno-Track, bekommt dann aber eine Tiefe mit der wunderbaren Stimme auf deutsch und Englisch.

Joan Hacker: »I Am Alive« — Macht trotz der statischen Anmutung eine ganz schöne Reise, ein beeindruckend emotionaler Drone-Track. Ein sehr persönlicher Track, bei dem die 15 Minuten wichtig sind.

Yan Jun: »Folk Song« — Ein Track aus China. Ich liebe die Wut, den Schmerz, oder die Dringlichkeit, die aus diesem Schrei/Call herauskommt.

Todd Barton: »Seekings« — Todd ist mir ein Lehrer und ein Vorbild. Dieses Stück hat eine dichte Atmosphäre, das können nicht viele Leute mit dem Buchla (der Synthesizer den Todd und ich beide spielen).

Denise Ritter: »Area One« — Ein Stück über die 1980er-Jahre in Deutschland, in der Nähe eines Atomwaffenstützpunkts der Amerikaner. Hits very close to home.

Ein bisschen kommt es darauf an, wonach man sucht. Es gibt Strecken von düsterem Ambient auf dem Album, Death Librarian, Dead Voices on Air, Decomissioned Forests, die Angel, Cunting Daughters … da gibt es viele wunderbare Tracks. Oder die eher Technolastigen: Stephen Mallinder, Valentin, D.U.M.E., Snowbeasts, Harriered… Oder die Klangkunstwelten von Andrea Szigetvári, Korhan Erel, Marc Behrens, Mia Zabelka und Lasse-Marc Riek. Wenn ich die Namen der Compilation herunterscrolle, finde ich immer wieder neue Inspiration was eine neue Liste sein könnte..;)

H: Danke für deine Zeit und die gute Aktion!

K: Vielen Dank für das Interview und das Kompliment. Wir glauben nicht, dass wir damit die Welt verändern können, aber einen kleinen Effekt wird das Projekt doch haben. Unsere Erwartungen wurden jedenfalls klar übertroffen.


Den Sampler könnt ihr direkt auf Bandcamp klicken (am besten am Bandcamp Friday).

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