For Peace. Against War. Who Is not? A Compilation For The People Of Ukraine

Ende Februar begann der Angriffskrieg von Putins Armee gegen die Ukraine. Neben der allgemeinen Fassungslosigkeit und Angst, die akut um sich griff, waren schnell auch Solidaritätsbekundungen in unterschiedlichsten Formen zu beobachten. Aus dem Kulturbereich kamen viele Aktionen, die ein Zeichen gegen den Krieg setzen. Unter anderem sind auf Bandcamp zig verschiedene Sampler erschienen.

Einen besonders bemerkenswerten möchte ich Sampler heute vorstellen und habe mich dafür mich Kai Niggemann unterhalten. Kai lebt in Köln und ist vielfältig aktiver Musiker und Soundartist (https://kainiggemann.com). Zusammen mit Robert Galbraith und Elizabeth Virosa von der Band Snowbeasts (https://snowbeasts.bandcamp.com) und Component Recordings (https://componentrecordings.bandcamp.com) aus Providence, Rhode Island, hat Kai einen monumentalen Sampler mit sage und schreibe 199 (!) Tracks zusammengestellt.

Henk: Hallo Kai! Erzähl doch mal, wie es zu der Aktion kam und wer beteiligt daran ist.
Kai: Hallo Henk. Kurz nach Beginn des Kriegs postete Rob (Robert Galbraith von Snowbeasts/Component Recordings) auf Facebook ein Angebot, dass er für Benefiz-Compilation-Beiträge das Mastering kostenlos übernehmen würde. Ich fragte ihn daraufhin, ob er und Beth (Elizabeth Virosa, ebenfalls Snowbeasts und Component) denn von einer Compilation wisse, oder ob sie einen planen würden. Da wir aber alle drei noch keine passende kannten, haben wir gescherzt, dass wir eine machen könnten. Wir haben dann gemeinsam spontan einen Text geschrieben, ein Platzhalter-Bild gesucht und den Open Call gepostet.

H: Wie war euer Prozess? Wie habt ihr den Sampler kuratiert? Gab es z.B. besondere Kriterien für die Auswahl von Tracks?

K: Nach dem Post kamen quasi sofort Tracks rein. Ich hatte Bedenken, ob wir es schaffen würden, genügend gute Tracks zu finden, die eine Compilation auszeichnen und besonders machen würden. Als uns die ersten 30 Tracks alle gefielen, gerieten wir ins Grübeln und überlegten, wo wir eine Linie ziehen könnten oder müssen. Ich war dann irgendwann richtig froh, als es irgendwann begann mit Tracks, die nicht passten oder bei denen uns beim ersten Hören sofort klar war, dass die nicht für die Compilation geeignet sind. Vorher hatte ich schon an meinem Geschmack gezweifelt, dachte ich wäre zu unkritisch geworden. 

Während die Tracks ankamen, haben wir (vor allem Rob) also probiert, schon zu clustern, d.h. sie stilistisch passend zusammen zu bringen. Wir merkten, dass der Sampler eine ganz schöne Reise werden würde und merkten, dass wir sofort beginnen müssten, alles zu arrangieren, damit am 15.03. (das war schon von Anfang an unser geplantes Release-Datum — nur fünf Tage nach der Deadline!) nicht alles (und alle) zusammenbricht.

Was unglaublich geholfen hat war ein Kommentar auf das Open Call-Posting auf Facebook von Wolfgang Flür (Kraftwerk) am ersten Tag, der schrieb, dass er gern einen Track beisteuern würde. Das hat uns ermöglicht noch mal ganz anders bekanntere Menschen anzusprechen, weil es damit nicht mehr nur eine totale Underground Sache war. 

Am Ende sind Namen dabei, die nicht unbedingt Household-Names sind — aber Stephen Mallinder von Cabaret Voltaire, Cico Beck (Joahsino) ist der Elektroniker von The Notwist, Scanner (Robin Rimbaud), Mia Zabelka, Joan Hacker, Valentin, die ANGEL mit Schneider TM, Ilpo Väisänen von Pan Sonic und Zappi Diermaier von Faust, Nick Didkovsky von Dr. Nerve, der auch bei Alice Cooper spielte, Dead Voices On Air, — um nur einige zu nennen.

Kai Niggemann
(Foto: Nina Gschlößl)

H: Angesichts der Lage in der Ukraine fühle ich mich ziemlich hilflos. Natürlich gibt es viel Hilfsbereitschaft gegenüber Geflüchteten und Solidaritätsbekundungen für die Ukrainer*innen. Zahlreiche Musiker*innen und Kultureinrichtungen haben Aktionen gestartet. Das ist auch superwichtig. Aber gleichzeitig stoppt das ja leider den Krieg nicht. Kann Kultur überhaupt hierzu einen wirklichen Beitrag leisten?

K: Aus dieser Hilflosigkeit stammte auch der Gedanke, einen Sampler zu machen. Wir wollten mit dem was wir können probieren Geld und Aufmerksamkeit herzustellen. Die Menschen in der Ukraine haben sicherlich gerade anderes zu tun, als einen Sampler anzuhören, aber falls jemand diese Flut von Samplern für Ukraine die es z.B. auf Bandcamp zur Zeit gibt bemerkt, ist es sicherlich auch eine kleine Ermutigung.

Ich glaube es geht ja gerade sehr stark um Kultur. Die russischen Truppen sind sehr offensichtlich darauf aus, ukrainische Kultur zu vernichten. Und da müssen wir als Musiker*innen dringend zumindest unsere Solidarität zeigen und helfen Geld zu sammeln, das die Lage verbessern kann.

Am Ende sind Rob, Beth und ich sehr pazifistisch. Wir waren uns einig, dass wir mit der Compilation keine Waffenkäufe finanzieren wollten. Zwar auch, weil die Summe die bei unserem Projekt rauskommt nur ungefähr für eine verschwindend geringe Anzahl von irgendetwas militärisch relevantem (Westen, Helme, etc.) ausreichen würde, aber vor allem weil wir trotz der großen Not, in der die Ukraine sich befindet, uns nicht mit dem Gedanken an Waffenkäufe anfreunden konnten.

H: Wie ist Resonanz auf die Aktion? Erreicht ihr damit viele Menschen? Eher Blase oder große Reichweite?

K: Die Resonanz ist super. Ich habe genau eine kritische Mail bekommen und die war etwas wirrewachs, also eher nicht ernstzunehmen. Durch Radio und andere Medien ist die Reichweite ziemlich hoch und wächst auch noch. Viele der Musiker*innen haben sich bei ihren lokalen/regionalen Sendern und Medien um Artikel und ähnliches bemüht, es gibt TV-Berichte aus Kanada, Radiosendungen aus Deutschland (Grenzwellen, Elektrobeats, u.a.) und Berichte aus Österreich (SKUG.at, Ö1 vom ORF).

Wir hatten keine Ahnung, dass das so groß werden kann, sonst hätten wir die PR länger geplant und mehr abgestimmt, aber wir wollten keinen langen Vorlauf, damit schnell Geld in die Ukraine fließen konnte.

H: Wie geht es weiter? 

Snowbeasts (Foto: Mandi Martini)

K: Es kommen in naher Zukunft noch einige Radio- und Medienbeiträge. Wir probieren weiter Geld einzusammeln und werden es in regelmäßigen Abständen in die Ukraine überweisen. Ich denke, dass die Künstler*innen auch noch weiter Werbung machen, das Feedback auch von ihnen ist sehr gut.

H: Servicehinweis – am 01.04.2022 ist mal wieder Bandcamp Friday – eine gute Gelegenheit, den Sampler zu klicken und so noch ein bisschen mehr beizutragen, als auf eurer normalen Bandcamp-Shoppingtour.

Hast du besondere Lieblingstracks oder besondere Anspieltipps, Kai?

Oh ja. Natürlich empfehle ich die Namen die man eventuell kennt mal anzuhören, da sind schon viele gute Tracks bei. Wolfgang Flürs Einstiegstitel »Say No« frisst sich mit jedem Hören tiefer rein, ich finde den sehr gut und freue mich unfassbar, dass der auf der Compilation vertreten ist.

Meine Top Five der Namen, die einen nicht sofort anspringen, sind zwar nicht fest, aber gute Beispiele sind diese:

Valentin: »Digital Hugs« — Es ist so schön warm. Beginnt wie ein relativ ‘normaler’ Techno-Track, bekommt dann aber eine Tiefe mit der wunderbaren Stimme auf deutsch und Englisch.

Joan Hacker: »I Am Alive« — Macht trotz der statischen Anmutung eine ganz schöne Reise, ein beeindruckend emotionaler Drone-Track. Ein sehr persönlicher Track, bei dem die 15 Minuten wichtig sind.

Yan Jun: »Folk Song« — Ein Track aus China. Ich liebe die Wut, den Schmerz, oder die Dringlichkeit, die aus diesem Schrei/Call herauskommt.

Todd Barton: »Seekings« — Todd ist mir ein Lehrer und ein Vorbild. Dieses Stück hat eine dichte Atmosphäre, das können nicht viele Leute mit dem Buchla (der Synthesizer den Todd und ich beide spielen).

Denise Ritter: »Area One« — Ein Stück über die 1980er-Jahre in Deutschland, in der Nähe eines Atomwaffenstützpunkts der Amerikaner. Hits very close to home.

Ein bisschen kommt es darauf an, wonach man sucht. Es gibt Strecken von düsterem Ambient auf dem Album, Death Librarian, Dead Voices on Air, Decomissioned Forests, die Angel, Cunting Daughters … da gibt es viele wunderbare Tracks. Oder die eher Technolastigen: Stephen Mallinder, Valentin, D.U.M.E., Snowbeasts, Harriered… Oder die Klangkunstwelten von Andrea Szigetvári, Korhan Erel, Marc Behrens, Mia Zabelka und Lasse-Marc Riek. Wenn ich die Namen der Compilation herunterscrolle, finde ich immer wieder neue Inspiration was eine neue Liste sein könnte..;)

H: Danke für deine Zeit und die gute Aktion!

K: Vielen Dank für das Interview und das Kompliment. Wir glauben nicht, dass wir damit die Welt verändern können, aber einen kleinen Effekt wird das Projekt doch haben. Unsere Erwartungen wurden jedenfalls klar übertroffen.


Den Sampler könnt ihr direkt auf Bandcamp klicken (am besten am Bandcamp Friday).

Sounds of the Forest

Sounds of the Forest ist ein Soundmappingprojekt und Teil des Festivals “Timber – The International Forest Festival”. Das Festival findet in Feanedock (UK) statt und wird organisiert von Wild Rumpus und The National Forest und beschäftigt sich mit Wäldern und ihren Veränderungen.

We are collecting the sounds of woodlands and forests from all around the world, creating a growing soundmap bringing together aural tones and textures from the world’s woodlands.

The sounds form an open source library, to be used by anyone to listen to and create from. Selected artists will be responding to the sounds that are gathered, creating music, audio, artwork or something else incredible, to be presented at Timber Festival 2021.

http://timberfestival.org.uk/soundsoftheforest-soundmap/

Auf der Soundmap sammelt das Projekt Soundsamples aus Wäldern auf der ganzen Welt. Diese dienen dann als Material für Projekte von verschiedenen Künstler*innen, die dann wiederum auf dem Timber-Festival präsentiert werden.

Zur Soundmap beitragen kann jede*r – einfach Sounds im Wald eurer Wahl aufnehmen und hochladen. Alle Infos findet ihr auf der Website zum Projekt.

Links:
Soundmap
Sounds beitragen
Festivalwebsite

Divide and Dissolve – Gas Lit

Das Duo Divide and Dissolve hat just sein drittes Album Gas Lit veröffentlicht.

Takiaya Reed (Saxophon, Gitarre, Liveeffekte) und Sylvie Nehill (Drums, Liveeffekte) kommen aus Melbourne und bewegen sich musikalisch irgendwo zwischen A Silver Mt. Zion und Sunn O))).

Das Album beginnt mit sphärischen Sounds, die von einer doomigen Wand aus schweren Gitarren und Drums abgelöst werden. Damit ist das musikalische Spektrum der Platte schon grob skizziert – ohne dass es im weiteren Verlauf je langweilig wird. Bemerkenswert ist, dass es der Band gelingt, gleichzeitig tonnenschwer und trotzdem irgendwie schwebend zu klingen. Anders als bei beispielsweise Sunn O))) habe ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass mich die Musik erschlägt. Bis auf einige Spoken Word-Schnipsel bleibt das Album instrumental, trotzdem gelingt es der Musik durchaus, die Message der Band zu transportieren. Dazu schreiben sie auf Bandcamp:

Gas Lit is our fight for Indigenous Sovereignty, Black and Indigenous Liberation, Water, Earth, and Indigenous land given back. Gas Lit is fighting against the dispossession of our people, land, water, and spirit. Gas Lit is a call to transformation and freedom. Gas Lit seeks to make a contribution to undermining and destroying the white supremacist colonial framework.

Ich hoffe, dass ich irgendwann die Gelegenheit haben werde, Divide and Dissolve live zu sehen – wenn es der Band gelingt, den mächtigen Sound der Platte auf die Bühne zu bringen, dürfte das ein sehr guter Abend werden.

Erschienen digital bei Bandcamp, sowie als Vinyl und CD bei Invada Records.

Links:
Website
Instagram
Facebook
Bandcamp
Gas Lit bei Invada Records

The Outlaw Ocean Music Project: Robot Koch – Albatross

The Outlaw Ocean Music Project ist ein Projekt an der Schnittstelle von Journalismus und (experimenteller) Musik.

Das ganze Projekt basiert auf dem Buch The Outlaw Ocean von Ian Urbina, der als Investigativreporter unter anderem für die New York Times gearbeitet hat. Urbina hat sich jahrelang mit unterschiedlichen Formen von Gesetzlosigkeit und Vergehen auf den Meeren der Welt beschäftigt und dabei auch ein umfangreiches Archiv an Fieldrecordings aufgebaut.

Zahlreiche Musiker*innen aus aller Welt haben sich der Soundschnipsel angenommen und Musik damit gebaut. Von Ambient über Electronica bis HipHop und Neoklassik sind zahlreiche (inzwischen weit über 200!) spannende Releases entstanden, die digital verfügbar sind. Urbina sieht das Projekt als eine Form von alternativem Storytelling – das trifft die Sache ziemlich gut.

Besonders hervorheben möchte ich die tolle EP Albatross von Robot Koch, die ihr hier auf Bandcamp findet:

Hier noch ein Video, in dem Ian Urbina selbst das Projekt erläutert:

Projektwebsite
Bandcamp

The Notwist – Vertigo Days

The Notwist haben heute ein neues Album veröffentlicht. Vertigo Days ist das erste Album seit sechs Jahren und erschienen bei Morr Music als (dreiseitig bespieltes) Doppelvinyl in olivgrün, clear und schwarz, als CD und digital.

Die vorab veröffentlichten Singles waren schon sehr vielversprechend und in seiner Gesamtheit ist Vertigo Days ein richtig gutes Album geworden. Was freu ich mich darauf, The Notwist irgendwann wieder live zu sehen!

Anspieltipps ergeben nur bedingt Sinn. Am besten funktioniert das Album am Stück und mit Kopfhörer – ein elektronisch-krautiger Trip – toll!

Vertigo Days bei Bandcamp
Vertigo Days bei A Number Of Small Things

The Notwist: Website / Facebook / Instagram

AUA – I Don’t Want It Darker

Ein Teil der hervorragenden Band RADARE macht als AUA einen Ausflug in andere musikalische Gefilde: Knietief im Krautrock verziert mit spacigen Synths, Surfgitarren und mit insgesamt shoegaziger Postpunk-Grundfärbung. Tolle Platte! Und hoffentlich nicht nur ein einmaliger Ausflug.

AUA im Netz:
Bandcamp
Instagram
Facebook

The Notwist live at Pop-Kultur 2020

Das Pop-Kultur-Festival kann dieses Jahr – wie leider so viele Festivals – nur online stattfinden. Vom 26.-28. August 2020 gibt es drei abendfüllende Shows mit zahlreichen Beiträgen von allen möglichen Künstler*innen und Acts. Da lohnt sich ein Blick: https://www.pop-kultur.berlin

Die einzelnen Beiträge in voller Länge sind auf YouTube zu finden. Dabei waren auch The Notwist mit einer kleinen Livesession. Sehr schöne Aufzeichnung mit super Sound und zwei neuen Songs..

Grisaille Tapelabel: Grau drückt das Wesentliche aus

Seit Ende 2019 veröffentlicht das Tapelabel Grisaille spannende experimentelle Musik unterschiedlichster Geschmacksrichtungen, von Drone & Ambient bis zu improvisiertem Jazz und Klangkunst. Die Releases erscheinen jeweils via Bandcamp und als wirklich schön aufgemachte Tapes. Die Ende Juli erschienene dritte Rutsche Tapes hab ich zum Anlass genommen, mich mit Tim und Julius über das Label, die dahinterstehende Idee und die kommenden Musiken zu unterhalten. Das Gespräch haben wir per Mail geführt..

H: Stellt euch kurz vor: Wer seid ihr? Was macht ihr?

J: Wir sind Julius Ménard und Tim Greifelt und kommen beide aus der westfälischen Provinz. Seit nunmehr über 20 Jahren sind wir befreundet und immer, mal mehr, mal weniger, im Kontakt geblieben. Da wir nunmal aus derselben Einöde stammen, haben wir auch eine ähnliche Sozialisierung in den 90er Jahren durchlebt. Sprich, tagsüber Inlineskaten, bzw. später Skateboard fahren und abends im lokalen Jugendzentrum das halbwegs erträgliche Konzertprogramm mitgestalten. Musikalisch kommen wir ursprünglich aus unterschiedlichen Hemisphären. Tim war dem HipHop der 90er verschrieben und bei mir war es der Punk, in dem ich meinte meine Peergroup gefunden zu haben. Irgendwann wurde uns unabhängig voneinander das Korsett zu eng und wir beschäftigen uns mit allen möglichen Genres der Musik und allen damit zusammenhängenden Bereichen. Tim promoviert derzeit und plant derzeit nach Paris zu ziehen. Ich bin „Vollzeit-Papa“ mit Job im Familienbetrieb und mache Musik.

H: Beschreibt euer künstlerisches Konzept.

J: Da wir dem subkulturellen Kontext entspringen, ist uns die DIY-Ethik sehr wichtig. Unabhängig von den vorgegebenen Strukturen versuchen wir etwas auf die Beine zu stellen, das uns selbst persönlich gefällt. Das spiegelt sich auch in der Auswahl der Bilder für die Inlays wider. Bei den ersten beiden Tape-Batches haben wir Fotografien von Tim ausgewählt, die unserer Meinung nach die Stimmung der des jeweiligen Tapes gut wieder geben. Es ist uns dabei auch wichtig, jede Fotografie mit den Künstler*innen abzusprechen. Beim letzten Batch haben zum Beispiel die Künstler*innen das Frontcover selbst vorgeschlagen bzw. selbst gestaltet. Wir sind da nicht festgelegt. Wichtig ist das alle damit zufrieden sind und ein rundes, harmonisches Gesamtwerk entsteht. Wir verstehen es als Selbstverständlichkeit aktiv an etwas beteiligt zu sein. Die Hebel selber zu betätigen ist manchmal hart, aber nur so können wir tun was wir für wertig empfinden.

T: Wenn ich nochmal etwas einwerfen darf: wie Julius ja schon erwähnt hatte, habe ich mich früher sehr mit der damaligen HipHop-Kultur verbunden gefühlt. Da war es meistens so, dass wenn du neue Menschen kennengelernt hast, gefragt wurde „und was machst du, Graffiti, DJing, Breakdance oder MCing?“ Ich denke, das ist bei mir auch irgendwie haften geblieben – immer aktiv an etwas mitzuwirken, mitzugestalten und nicht ausschließlich Musik und Kunst zu konsumieren.

H: Warum Tape?

J: Aus mehreren Gründen ist die Kassette das präferierte Format unserer Wahl. Da wir uns entschieden haben kein rein digitales Label zu sein, sondern uns die Wertigkeit eines handfesten Formats am Herzen liegt, ist es eigentlich alternativlos. Kleine Auflagen auf Vinyl sind heute schwer zu bezahlen und seit der Übersättigung an Vinyl seitens der großen Labels ist das Format denen überlassen die es bezahlen können.

Tim Greifelt und Julius Ménard

Seit jeher war die Kassette das interessanteste Format, welches individuell gestaltbar, robust und letztlich rentabel ist. Nebenbei sind wir nostalgische Kinder der 80er und 90er und lieben immer noch unsere Walkmans.

H: Wikipedia sagt: „Als Grisaille (französisch für Eintönigkeit, abgeleitet von französisch gris ‚grau‘) bezeichnet man eine Malerei, die ausschließlich in Grau, Weiß und Schwarz ausgeführt ist.“ Warum heißt euer Label so? Was fasziniert euch daran?

T: Ich habe immer schon sehr viel mit der Farbe grau gearbeitet, habe zum Beispiel auch Holzschnitte gemacht in schwarz und weiß, also den Grundkomponenten des Graus. Als Julius und ich überlegt haben, ein Kassettenlabel zu gründen, fiel mir ziemlich schnell der Name (grisaille, französisch für grau) ein und hab ihn vorgeschlagen. Als wir darüber sprachen sind wir zu dem Punkt gekommen, dass es nicht nur gut klingt (also vom Klang, ästhetisch gesehen), sondern auch das ausdrückt, was, wie soll ich sagen, die Philosophie hinter unserer Idee ist oder sein könnte.
Grau drückt für mich, ich glaube da spreche ich aber für uns beide, das Wesentliche aus. Grau ist eine Vermischung von schwarz und weiß, also primär gesehen von zwei Gegensätzen, wie es ja in vielen Kulturkreisen so gesehen wird. Also eine Art Amalgamierung und schließt dadurch eigentlich nichts aus, es vereint und das wollen wir ja auch. Puh – klingt ziemlich hochgegriffen aber im Prinzip ist es das. Auf der anderen Seite kann Mensch jede andere Farbe in grau mischen und blaugrau, grüngrau und so weiter entsteht und ist dadurch beliebig erweiterbar. Wie letztendlich auch die Musik mit der wir uns beschäftigen und die Menschen, die Musiker*innen und die die es wiederum aufnehmen. Wir wollen auch, wie das grau, beliebig erweiterbar sein. Bei dieser Betrachtungsweise, finde ich, wirkt grau doch gar nicht mehr so trist?!

H: Nerdtalk: Wie produziert ihr eure Tapes?

J: Ein Thema welches uns sehr beschäftigt. Wir dubben die Tapes selber, alles andere führt zu hohen Verkaufspreisen und vor allem zu viel zu langen Lieferzeit, da die Kassette ja nun auch nicht mehr ganz so unmodern ist. Ich dubbe alles über ein 3-Kopf-Tapedeck von Kenwood. Tim verwendet ein Pioneer CT-W208R. Soundtechnisch ist das wirklich gut, nur können wir alles nur jeweils 1:1 dubben. Dass nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, was für mich kein Problem ist, da ich den ganzen Tag zu Hause bin. Tim macht dann ganz gerne mal Nachtschichten. Eigentlich läuft das parallel zum Alltag meist mit. Ich habe dann die Veröffentlichungenen im Schnitt 20-50 mal mitgehört. Meiner Erfahrung nach wächst mir so jedes Release sehr ans Herz. Beim jeden Hördurchgang fallen mir neue Nuancen auf und manche erkenne ich erst nach dem zehnten Durchlauf. Die Cover werden gestaltet und mit dem Risographen gedruckt von sehr guten Freunden Hendrik und Julian Klein aka superkolor. Zu guter letzt wird meist abends gefalzt, gefaltet, Download-Codes ausgeschnitten und Sachen verschickt.

H: Wie wählt ihr eure Artists/Releases aus?

J: Ich bin es der Künstler*innen auf- und aussucht und kontaktiere. Mein Hintergedanke für das Label ist es, eine Platform zu haben, um meine eigene Musik auf Tape zu veröffentlichen. Mir geht es aber vor allem darum, mit Menschen in Kontakt zu kommen und dass klappt hiermit ausgezeichnet. Musiker*innen die mir gefallen und ich schon sehr lange verfolge schreibe ich an und nehme direkt Kontakt auf mit der expliziten Frage, ob wir ein Tape veröffentlichen können. Beim ersten Batch waren es hauptsächlich noch Freunde und Bekannte (Jeans Beast, Chemiefaserwerk, Emerge und Anja Kreysing). Ich bewundere jede/n einzelne/n Künstler*in und bin unfassbar froh mit denen zusammen arbeiten zu dürfen. Ich notiere mir beim Stöbern immer Namen und habe mittlerweile eine lange Liste von Menschen, die ich anschreiben werde.

H: Was kommt als nächstes?

J: Es stehen schon ein Dutzend Tapes fest. Das nächste Batch erscheint am 15. September und beinhaltet Modelbau, Ted Byrnes, Jon Mueller und wieder eins von mir. Danach kommen noch zwei Batches in diesem Jahr.

Etwas, das uns beschäftigt ist, dass wir zukünftig unseren Roster etwas diverser gestalten möchten. Beispielsweise haben wir bei den bisherigen Veröffentlichungen erst eine Frau dabei. Wir möchten mit Grisaille einen Raum schaffen, in dem Diversität möglich ist. Unserer Erfahrung nach besteht nach wie vor ein unausgewogenes Verhältnis und eine Überrepresentation des männlichen Geschlechts im Bereich experimenteller Musik. Wir hoffen, mit dem Label zukünftig einen Beitrag zu leisten, dies zu durchbrechen.

H: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

Neben dem Label Grisaille betreiben Tim und Julius den Instagram-Account @the_record_of_the_week, in dem sie regelmäßig Platten vorstellen. Auch hier lohnt sich ein Blick!


Links:
https://grisaille.bandcamp.com
https://www.instagram.com/gr1saille
https://www.instagram.com/juliusmenard
https://www.instagram.com/the_record_of_the_week
https://superkolor.de

Diskografie:
GRISAILLE-01 Julius Ménard – Volta
GRISAILLE-02 Jeans Beast – Dans Le Village D’Or
GRISAILLE-03 Chemiefaserwerk – New Nacht Pop
GRISAILLE-04 Stadlmeier* / Kreysing* / EMERGE – Stadlmeier / Kreysing / EMERGE 
GRISAILLE-05 Nils Quak – Kamingespräche
GRISAILLE-06 Jeph Jerman – Albuquerque
GRISAILLE-07 Aidan Baker – Strung
GRISAILLE-08 Doc Wör Mirran – Kraut Mask Replica
GRISAILLE-09 Francisco López – 1983
GRISAILLE-10 Julius Ménard – L’Enfer C’est Moi

I manage my fantasy baseball team better than I manage my anger these days

Vor genau 20 Jahren erschien das hervorragende Album “Left & Leaving” der großartigen Weakerthans. Immer noch eine meiner Lieblingsplatten und immer noch ein Beleg für die (auch von mir vertretene) These, dass John K. Samson einfach einer der besten Geschichtenerzähler ist!

Gestern erschien mit “Fantasy Baseball At The End Of The World” ein neuer Song von John K. Samson.

Hoffentlich ist das ein Vorbote auf ein neues Album – das würde 2020 auf jeden Fall ein Stückchen rausreißen.